Der Standard  August 2021

 


Michael Mantlers "Coda" oder das Ende des Komponierens

Auf seiner neuen Einspielung zelebriert der Trompeter den Abschied als Komponist. Im Porgy & Bess hört man ihn aber als Interpreten seiner selbst

Stempelt ein Komponist seine neueste Aufnahme mit dem Titel "Coda", wirkt es wie ein zufälliger Verweis auf eine kleinen Bewohner der musikalische Formenlehre. Der Begriff meint ja jene angehängte Passage, die Stücke - elegische oder auch emphatisch vorheriges Themenmaterial bündelnd - als Nachschlag ausklingen lässt. Michael Mantler allerdings setzt den Begriff "Coda" in einem unerbittlich programmatischen Sinne ein. Er wird nach dieser Sammlung von fünf Suiten nämlich gar nichts mehr komponieren: "Was zu sagen war, habe ich gesagt!", ist sein diesbezüglich eindeutiges Statement.

Damit ist allerdings kein genereller Abschied aus der Musikwelt gemeint. Der aus Wien stammende Komponist und Trompeter findet, dass er zwar alles gesagt habe, jedoch nicht oft genug. Damit thematisiert Mantler das weitverbreitete Phänomen des Konzertwesens, das man "unerwünschte Einmaligkeit" nennen könnte


Nur einmal
Es ist leider fast eine Regel bei zeitgenössischer Musik: Stücke werden in Auftrag gegeben, werden uraufgeführt und landen statt im Repertoire in der gut gefüllten Abstellkammer der aktuellen Musikgeschichte. Bei Mantler, der einst Österreich verließ, um sich dem Jazz zu widmen ("Die USA waren der Ort, an dem sich alles abspielte ..."), hat dieses Uraufführungssyndrom mutmaßlich aber auch Zusatzgründe. Kompositorisch verbindet er ja Stile und Elemente, die ansonsten gerne getrennt von Veranstaltern gebucht werden.

Auch bei Coda dominiert die raffinierte Verschmelzung von polytonaler Klassik, Moderne, motorischen Aspekten der Minimal Music und des avancierten Jazz, den Mantler ja einst auch mit Cecil Taylor praktizierte (diese Begegnung nennt Mantler besonders fruchtbar). In der Instrumentierung finden sich bei diesem Kammerorchester Oboensüße, stehende Streicherflächen und jazziges Blech zu einer individuellen Ausdruckswelt verschmolzen.

Umzingelter Solist
Die Musik auf Coda, dirigiert von Christoph Cech, verbreitet auch jene düstere Aura, die Mantlers orchestrale Kunst seit langem prägt. Oft sind da massive Akkord- oder Motivblöcke, die den jeweiligen Solisten tragen oder mitunter umzingeln (auch Mantler selbst, den lyrisch-abstrakten Trompeter). Gerne setzt Mantler auch mehrere ganz unterschiedliche Schichten übereinander, setzt Statik gegen Energetik und erreicht so eine ambivalent dahingleitende Struktur.

Auf definitorisches Stilspiel lässt er sich natürlich nicht ein: "Ich bin an Kategorien nicht interessiert, nennen Sie es, wie Sie wollen!" Folgerichtig antwortet er auch auf die Frage nach prägenden Einflüssen mit einem herzhaften "alle!".

Was sich in den Suiten nicht findet, sind jedoch jene freejazzigen Elemente, die Mantler mit seiner Ex-Frau und Komponistin Carla Bley in den 60ern beim Jazz Composer's Orchestra innovativ forcierte. Nimmt man etwa die Aufnahme Communication aus 1965 (u. a. mit Saxofonist Archie Shepp und Pianist Paul Bley), vernimmt man hitzigen kollektiv gebündelten Individualismus.

Nur wenig Freiheit
Da ist Coda durchaus strenger, um nicht zu sagen durchstrukturiert. Es gibt Improvisationen und also Soli, auch eine rockige Gitarre singt da mit leicht verzerrtem Pathos. Alles Spontane ist jedoch in eine niemals ausufernde Struktur eingebunden. Es wundert nicht, dass Mantler den Free Jazz heute "nicht mehr interessant" findet, außer "in einem ganz gewissen, äußerst begrenzten Umfang". Das zusätzlich Spezielle an dieser Aufnahme: Einige Elemente der Suiten nahmen ihren Ausgang in früheren Kompositionen. Mantler hat sie quasi in die neuen Stücke exportiert und kompositorisch frisch verarbeitet. Es ist ein doch sehr spezieller Vorgang.

Für Komponisten ist es oft unangenehm bis qualvoll, sich mit ihren früheren Stücken zu konfrontieren. Bei Mantler jedoch scheint es regelrecht zur Methode geworden, Geschriebenes neu zu denken. "Meistens funktioniert das für mich sehr gut. Und nachdem ich normalerweise meine alte Musik nicht oft höre, kommt es zu eher erfreulichen Wiederbegegnungen ..."

Streaming als Desaster
Es mögen bei ihm dabei auch Erinnerungen an eine Zeit aufkommen, als der Verkauf von Tonträgern noch funktionierte. "CD-Verkäufe sind nun leider doch ein Problem. Wobei: Das Label ECM ist ein Ausnahmefall, es hat mich mein ganzes Musikleben lang begleitet." Streaming? "Das betrachte ich als absolutes Desaster. Alles wird nur in Bruchstücken und flüchtig gehört. Ein Album ist für mich ein ganz konkreter Ablauf von Musik, der ja nicht zufällig ist!"

Im September werden seine Concertos im Porgy & Bess ganz und nicht als Bruchstück aufgeführt. Auch hier aber die lästige Einmaligkeit. Sie wurden 2007 in Berlin uraufgeführt und seitdem nie mehr gespielt.

-- Ljubiša Tošic

 
     
 

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