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Michael Mantlers
"Coda" oder das Ende des Komponierens
Auf seiner neuen Einspielung
zelebriert der Trompeter den Abschied als Komponist. Im Porgy & Bess
hört man ihn aber als Interpreten seiner selbst
Stempelt ein Komponist seine neueste Aufnahme mit dem Titel "Coda",
wirkt es wie ein zufälliger Verweis auf eine kleinen Bewohner der
musikalische Formenlehre. Der Begriff meint ja jene angehängte Passage,
die Stücke - elegische oder auch emphatisch vorheriges Themenmaterial
bündelnd - als Nachschlag ausklingen lässt. Michael Mantler
allerdings setzt den Begriff "Coda" in einem unerbittlich programmatischen
Sinne ein. Er wird nach dieser Sammlung von fünf Suiten nämlich
gar nichts mehr komponieren: "Was zu sagen war, habe ich gesagt!",
ist sein diesbezüglich eindeutiges Statement.
Damit ist allerdings kein genereller Abschied aus der Musikwelt gemeint.
Der aus Wien stammende Komponist und Trompeter findet, dass er zwar alles
gesagt habe, jedoch nicht oft genug. Damit thematisiert Mantler das weitverbreitete
Phänomen des Konzertwesens, das man "unerwünschte Einmaligkeit"
nennen könnte
Nur einmal
Es ist leider fast eine Regel bei zeitgenössischer Musik: Stücke
werden in Auftrag gegeben, werden uraufgeführt und landen statt im
Repertoire in der gut gefüllten Abstellkammer der aktuellen Musikgeschichte.
Bei Mantler, der einst Österreich verließ, um sich dem Jazz
zu widmen ("Die USA waren der Ort, an dem sich alles abspielte ..."),
hat dieses Uraufführungssyndrom mutmaßlich aber auch Zusatzgründe.
Kompositorisch verbindet er ja Stile und Elemente, die ansonsten gerne
getrennt von Veranstaltern gebucht werden.
Auch bei Coda dominiert die raffinierte Verschmelzung von polytonaler
Klassik, Moderne, motorischen Aspekten der Minimal Music und des avancierten
Jazz, den Mantler ja einst auch mit Cecil Taylor praktizierte (diese Begegnung
nennt Mantler besonders fruchtbar). In der Instrumentierung finden sich
bei diesem Kammerorchester Oboensüße, stehende Streicherflächen
und jazziges Blech zu einer individuellen Ausdruckswelt verschmolzen.
Umzingelter Solist
Die Musik auf Coda, dirigiert von Christoph Cech, verbreitet auch
jene düstere Aura, die Mantlers orchestrale Kunst seit langem prägt.
Oft sind da massive Akkord- oder Motivblöcke, die den jeweiligen
Solisten tragen oder mitunter umzingeln (auch Mantler selbst, den lyrisch-abstrakten
Trompeter). Gerne setzt Mantler auch mehrere ganz unterschiedliche Schichten
übereinander, setzt Statik gegen Energetik und erreicht so eine ambivalent
dahingleitende Struktur.
Auf definitorisches Stilspiel lässt er sich natürlich nicht
ein: "Ich bin an Kategorien nicht interessiert, nennen Sie es, wie
Sie wollen!" Folgerichtig antwortet er auch auf die Frage nach prägenden
Einflüssen mit einem herzhaften "alle!".
Was sich in den Suiten nicht findet, sind jedoch jene freejazzigen Elemente,
die Mantler mit seiner Ex-Frau und Komponistin Carla Bley in den 60ern
beim Jazz Composer's Orchestra innovativ forcierte. Nimmt man etwa die
Aufnahme Communication aus 1965 (u. a. mit Saxofonist Archie Shepp
und Pianist Paul Bley), vernimmt man hitzigen kollektiv gebündelten
Individualismus.
Nur wenig Freiheit
Da ist Coda durchaus strenger, um nicht zu sagen durchstrukturiert.
Es gibt Improvisationen und also Soli, auch eine rockige Gitarre singt
da mit leicht verzerrtem Pathos. Alles Spontane ist jedoch in eine niemals
ausufernde Struktur eingebunden. Es wundert nicht, dass Mantler den Free
Jazz heute "nicht mehr interessant" findet, außer "in
einem ganz gewissen, äußerst begrenzten Umfang". Das zusätzlich
Spezielle an dieser Aufnahme: Einige Elemente der Suiten nahmen ihren
Ausgang in früheren Kompositionen. Mantler hat sie quasi in die neuen
Stücke exportiert und kompositorisch frisch verarbeitet. Es ist ein
doch sehr spezieller Vorgang.
Für Komponisten ist es oft unangenehm bis qualvoll, sich mit ihren
früheren Stücken zu konfrontieren. Bei Mantler jedoch scheint
es regelrecht zur Methode geworden, Geschriebenes neu zu denken. "Meistens
funktioniert das für mich sehr gut. Und nachdem ich normalerweise
meine alte Musik nicht oft höre, kommt es zu eher erfreulichen Wiederbegegnungen
..."
Streaming als Desaster
Es mögen bei ihm dabei auch Erinnerungen an eine Zeit aufkommen,
als der Verkauf von Tonträgern noch funktionierte. "CD-Verkäufe
sind nun leider doch ein Problem. Wobei: Das Label ECM ist ein Ausnahmefall,
es hat mich mein ganzes Musikleben lang begleitet." Streaming? "Das
betrachte ich als absolutes Desaster. Alles wird nur in Bruchstücken
und flüchtig gehört. Ein Album ist für mich ein ganz konkreter
Ablauf von Musik, der ja nicht zufällig ist!"
Im September werden seine Concertos im Porgy & Bess ganz und
nicht als Bruchstück aufgeführt. Auch hier aber die lästige
Einmaligkeit. Sie wurden 2007 in Berlin uraufgeführt und seitdem
nie mehr gespielt.
-- Ljubia Toic
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