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Mäikl is bäck
Michael
Mantler, der als junger Mann aus St. Pölten
auszog, um in New York Jazzmusiker zu werden, präsentiert in seiner
Geburtsstadt Wien drei Konzerte mit einer Auswahl aus seinem Schaffen.
Der Falter besuchte ihn in Kopenhagen und sprach mit ihm über
Heimat, Free Jazz und alte Gefährten.
Wenn er selbst unter österreichischen Musikfans als Mäikl
Mäntla firmiert, dann ist das nicht einfach Ignoranz gegenüber
dem unbekanntesten berühmten österreichischen Musiker,
als der er einmal bezeichnet wurde. Michael Mantler, 1943 in Wien geboren,
ist in der Tat eher ein Mäikl als ein Michl, denn seine musikalische
Karriere hat sich praktisch ausschließlich im Ausland, vor allem
in den USA, abgespielt. Mit 19 verließ Mantler Sankt Pölten,
um Jazzmusiker in den Staaten zu werden. Auf die Frage, wie man eigentlich
auf so eine Idee komme, antwortet er, als könnte diese bloß
rhetorisch gemeint sein: Ja, es war total verrückt, idiotisch.
Ich würde das niemandem empfehlen.
Zur österreichischen Jazzszene hatte Mantler nie Kontakt gehabt.
Seine musikalische Sozialisation verlief zunächst sozusagen im Fernstudium:
Das meiste habe ich im Radio, auf Voice of America, gehört.
Und dann habe ich bei Schallplatten Kratz auf der Mariahilfer Straße
stundenlang Platten durchgesehen, gehört und bestellt, habe gespart,
damit ich mir das kaufen kann. Auf diese Weise gelangte er relativ
zügig vom Swing zum Free Jazz, von Benny Goodman zu Ornette Coleman.
Nach der Matura ging Mantler auf Vermittlung seines Professors an der
Akademie für zwei Monate nach New York und arbeitete dort in der
Fabrik des berühmten Trompetenbauers Vincent Bach, wo er Mundstücken
den letzten Schliff verpasste. An den Abenden besuchte er die Jazzklubs:
Dort habe ich alles und jeden gehört.
Ein Jahr später erfolgte dann der endgültige Exodus. Mantler
ging zunächst für zwei Jahre nach Boston, ans berühmte
Berklee College of Music, das damals freilich noch wesentlich kleiner
war: Heute ist das ja eine richtige Universität, aber damals
waren vielleicht fünfzig Leute dort. Die prägenden und
entscheidenden Begegnungen aber fanden 1964 in New York statt, wo eine
Gruppe von Musikern im Cellar Café die sogenannte October
Revolution of Jazz ausrief. Wichtiger als der bombastische Titel
war wohl der Umstand, dass sich die Avantgardeszene um Musiker wie den
Trompeter Bill Dixon, die Pianisten Cecil Taylor und Paul Bley, den Saxofonisten
Archie Shepp oder den extraterrestrischen Freejazzbigbandleader Sun Ra
in der Jazz Composers Guild organisierten, ein Pool, aus dem dann
vier Jahre später die von Mantler gegründete Jazz Composers
Orchestra Association hervorgehen sollte.
Dass Mantler, der damals seine Frau Carla Bley kennen lernte, von vielen
Jazzfans noch immer mit der Musik aus dieser Zeit assoziiert wird
vor allem mit dem legendären silbernen Doppelalbum The Jazz
Composers Orchestra, auf dem sich Solisten wie Cecil Taylor,
Don Cherry oder Pharoah Sanders in einem großorchestralen, von ihm
arrangierten und dirigierten Setting austobten , ist Mantler heute
nur noch bedingt recht. Über die Jahre und Jahrzehnte ist der Anteil
an Improvisation in seinen Kompositionen immer geringer geworden. Er weiß
mittlerweile, was er (hören) will und was er den Musikern abverlangen
kann: Es ist für mich wichtiger zu kontrollieren, was vor sich
geht. Es gibt schon noch gewisse Freiheiten, aber nur in einem sehr engen
Rahmen, erklärte Mantler in einem Falter-Interview aus dem
Jahr 2000 seinen Weg vom frei improvisierten Jazz zu Werken, die bezeichnenderweise
Genrebezeichnungen wie One Symphony oder Sort-of-an-Opera
tragen.
Dass man Free Jazz nicht mag, ist mir sehr verständlich, ich
mag den ja auch nicht. Mir ist schleierhaft, dass man so was heutzutage
noch immer oder schon wieder spielt, gibt sich Mantler heute erstaunlich
polemisch, um seine Aussage dann wieder mildernd zu relativieren: Es
gibt guten Free Jazz und schlechten. Und achtzig Prozent oder vielleicht
99 Prozent sind schlecht oder, sagen wir, uninteressant. Aber natürlich
finde ich gewisse Platten und Stücke nach wie vor unübertroffen,
die rühren mich immer noch. ,Lonely Woman von Ornette Coleman.
Auch Cecil Taylor, das Quartett von Don Cherry oder das Trio von Paul
Bley: Das sind Meilensteine, und es hört sich immer noch gut an!
Den
USA, immerhin für drei Jahrzehnte seine Heimat, hat Mantler längst
den Rücken gekehrt. Seit mittlerweile 15 Jahren lebt er wieder in
Europa. Die kleine, helle Wohnung im 4. Stock einer ruhigen Straße
im Kopenhagener Stadtteil Frederiksberg ist erstaunlich gut aufgeräumt
das schiere Gegenteil von dem, was dem Klischee des künstlerisch-kreativen
Chaos entspräche. Hier verbringt Mantler rund die Hälfte des
Jahres, die andere Zeit bewohnt er gemeinsam mit seiner Frau ein kleines
Haus in Aix-en-Provence. Von den USA hat er jedenfalls genug Ich
habe einfach keine Lust, mich mit diesem Land zu beschäftigen; das
ist so daneben , was nicht bedeutet, dass er sich nun als
Kopenhagener fühlte: Ich bin hier, weil meine Frau hier ist,
und nicht, weil Kopenhagen so fantastisch wäre. Es ist eine kleine
Stadt. Und ich würde nicht sagen, dass es meine Heimat ist
wie auch Wien nicht und bestimmt nicht St. Pölten, meint Mantler.
Die Frage nach der Heimat beantwortet er, der gemeinsam mit dem
Mothers-of-Invention-Keyboarder Don Preston ein Album namens Alien
eingespielt hat, dann doch mit einem zögerlichen am ehesten
New York. Dort wohnt heute auch Karen Mantler, seine und Carla Bleys
Tochter im alten Büro von Mom and Dad. Den Staaten hatte Mantler
unter anderem den Rücken gekehrt, weil er über dem Organisieren
von Konzerttouren, Plattenproduktion und -vertrieb überhaupt nicht
mehr dazukam zu komponieren: Ich war mehr oder weniger Carlas Manager,
aber selbst kaum mehr musikalisch tätig. Man konnte vielleicht in
einem kleinen Scheißklub in Soho spielen, aber etwas kompliziertere
Projekte waren undurchführbar. Und die Tourneen mit Carlas Band liefen
zwar in Europa sehr gut, in Amerika haben wir damit aber eigentlich immer
Geld verloren. Kopenhagen ist wie jede andere europäische Stadt:
Hier gibt es ein Publikum, das sich für Musik interessiert, und es
gibt ein Kulturleben, das vom Staat über Stipendien und Auftragsarbeiten
gefördert wird.
In den letzten Jahren hat sich die Situation allerdings auch hier verschlechtert.
Die Möglichkeiten, etwa mit dem dänischen Rundfunk zu kooperieren,
auf diese Weise Konzerte aufzuführen und danach mit den Musikern
gleich noch ins Studio zu gehen und eine CD zu produzieren, sind
im Zuge der allgemeinen Budgetkürzungen und der dichten Konkurrenz
geringer geworden. Mantlers Platten erscheinen als Edition
of Contemporary Music auf ECM: Ich produziere meine Sachen
selber, was bei ECM sehr rar und eine ziemlich privilegierte Position
ist. Ich tu, was ich will, mach alle paar Jahre eine Platte, und Manfred
Eicher (Labelchef von ECM, Anm. d. Red.) bringt sie raus, ohne viele Fragen
zu stellen.
Das letzte Album, Hide and Seek, eine Komposition für
elfköpfiges Kammerensemble und die Stimmen von Robert Wyatt und Susi
Hyldgaard nach einem Text von Paul Auster, ist mittlerweile aber auch
schon fünf Jahre alt. Dabei würde sich Mantler für so vieles
interessieren für Orchesterstücke oder ein Streichquartett,
Musik für Filme, fürs Theater oder das Ballett. Anfragen und
Aufträge blieben aber aus, und für die Schublade mag Mantler
nicht komponieren: Das letzte Mal, als ich mit einer Trompete in
der Hand auf der Bühne stand, war im November 1997 im Hebbel Theater
in Berlin. Da haben wir ,School of Understanding gespielt. Und seit
fünf, sechs Jahren habe ich keine Musik mehr geschrieben, weil ich
das nur für Aufträge und konkrete Projekte mache. Ich habe kein
Interesse daran, mich endlos auszudrücken. Wenn man nur so zu Hause
sitzt und auf einer Trompete herumnudelt, hat das mit Musik ja nix zu
tun. Ich hatte eine richtige Abscheu vor Musik, wollte keine hören
und bestimmt keine machen. Ich hatte wirklich die Nase voll.
2004 wurde Mantler mit dem Österreichischen Staatspreis für
improvisierte Musik ausgezeichnet, heuer folgte der Jakob-Prandtauer-Preis
der Landeshauptstadt St. Pölten. Damit ist das Potenzial der für
Mantler infrage kommenden österreichischen Preise wohl ausgeschöpft.
Die Auftragslage oder Nachfrage ist dadurch freilich um keine Achtelnote
besser geworden: Als ich den Staatspreis bekam, habe ich den Intendanten
des St. Pöltner Festspielhauses getroffen: ,Ja, ja, ach, wie interessant
wie heißen Sie noch mal? Müssen wir mal was machen.
Drei Monate später herrschte totale Funkstille. Heuer beim Prandtauer-Preis
wieder: ,Der Sohn der Stadt kommt zurück. Wir müssen was machen!
Die haben ja die Niederösterreichischen Tonkünstler dort, Kristjan
Järvi ist Dirigent, ein interessanter Mann, der sich auskennt, auch
Neue Musik macht. Ich hatte ein Meeting mit dem Geschäftsführer.
Danach: Totenstille. Nichts.
Dass Mantler seit zwei Monaten wieder Trompete übt, ist das Verdienst
von Christoph Huber. Der künstlerische Leiter des Jazzklubs Porgy
& Bess hat schon vor Jahren Interesse an einem Wien-Auftritt Mantlers
gezeigt, die geplante Aufführung von Hide and Seek war
dann aber nicht zustande gekommen. Kommende Woche nun wird Mantler mit
einem dreitägigen Porträt gewürdigt, in dessen Rahmen Kompositionen
aus drei Jahrzehnten aufgeführt werden. Großteils rekrutiert
sich das zwölfköpfige Ensemble aus österreichischen Musikern,
zu denen Mantler seit Monaten Kontakt hält, hinzu kommen die Sängerin
Mona Larsen, der Multiinstrumentalist Roger Jannotta und der Gitarrist
Bjarne Roupé, mit denen Mantler schon auf den letzten Alben zusammengearbeitet
hat. Dennoch bedeutet die Erstellung des Wien-Programms, bei dem rund
zwei Dutzend Kompositionen in neuen Arrangements zu Gehör gebracht
werden sollen, jede Menge Arbeit: Es muss alles für dieses
Ensemble neu geschrieben werden fast so wie neue Kompositionen.
Ich habe das ja jahrelang nicht gesehen und musste es überhaupt erst
neu analysieren, kürzen, einige Stücke zusammenziehen.
Im
Verlauf seiner Karriere hat Mantler immer wieder mit herausragenden Solisten
aus unterschiedlichen musikalischen Lagern zusammengearbeitet: Mit der
Pop-Chanteuse Marianne Faithfull zum Beispiel oder dem Pink-Floyd-Schlagzeuger
Nick Mason. Die längstgedienten und am öftesten eingesetzten
Alumni aber sind der ehemalige Cream-Bassist Jack Bruce, der schon auf
Carla Bleys Opus magnum Escalator Over the Hill zu hören
war, und der Schlagzeuger und versonnene Melodienschmied Robert Wyatt.
In beiden Fällen sind es die eigenwilligen, sehr gegensätzlichen
Stimmen, auf die Mantler für seine Vertonungen von Texten zurückgriff,
die ihm für seine Musik geeignet erschienen. Samuel Beckett hat es
ihm immer wieder angetan. Er hat Harold Pinters Stück Silence
ebenso adaptiert wie Texte des genialen Zeichners Edward Gorey oder Gedichte
von Ernst Meister, Philippe Soupault und Giuseppe Ungaretti. Dass er sich
dabei im Unterschied zu dem mitunter schon zwangsironischen und
dauerlustigen Werk von Carla Bley stets als depressiver Düsterling
erwiese, mag Mantler so nicht gelten lassen: Ich hör das auch
dauernd, finde es aber blödsinnig. Die Welt befindet sich in einem
gewissen Zustand, das kommt wahrscheinlich irgendwie raus, aber es ist
nicht so, dass ich gezielt was Depressives schreiben würde. Beckett
ist ja ein richtiger Komiker.
Mit Bruce hat Mantler zuletzt auf dem 1996 eingespielten The School
of Understanding zusammengearbeitet, für das er ausnahmsweise
eigene Worte verwendete. Das Wiedervereinigungskonzert von Cream im Mai
vorigen Jahres hat er mit Wohlwollen verfolgt: Ich war sehr überrascht,
dass ihnen das gelungen ist, habe den Auftritt ein bisschen im Fernsehen
verfolgt: Das war gut gespielt wie damals. Cream waren eine tolle
Band, die ich sehr gemocht habe. Wobei für mich Jack Bruce immer
der Wichtigste war, derjenige, der die beste Musik geschrieben hat. Seine
Soloplatten sind auch viel interessanter als die der beiden anderen. Ginger
Baker kann man sowieso vergessen, und Clapton na ja. Jack ist ein
fantastischer Musiker! Er liest alles vom Blatt und macht es aus dem Stand.
Ganz anders als Robert Wyatt, der keine Noten lesen kann, aber ein tolles
Gehör hat. Er sucht sich das am Klavier zusammen, oder ich schicke
ihm Tapes, von denen er das lernt. Er arbeitet schwer dran, bis er es
perfekt kann.
Mantlers Ambitionen, in irgendjemandes Band mitzuspielen, sind hingegen
ziemlich gering: Das war okay in den Tagen der Carla-Bley-Band.
Das war unheimlich gute Musik, und es hat Spaß gemacht, als Mitglied
eines Ensembles diese Musik zu verwirklichen wunderbar! Aber es
fiele mir keine Band ein, in der ich unbedingt mitspielen wollte.
Eine Ausnahme fällt ihm dann allerdings doch ein: Wenn mich
Robert Wyatt bitten würde, für ihn zu spielen das würde
ich schon machen.
Sein eigenes Werk wird Mantler übrigens auch auf CD einer Neusichtung
unterziehen. Noch diesen Herbst wird mit Review ein Album
erscheinen, das 22 Stücke und Ausschnitte aus dem Schaffen von 1968
bis 2000 umfasst. Und vielleicht wird Mantler, der nach wie vor österreichischer
Staatsbürger ist und sein Lebtag noch nie wählen war (Ich
wüsste auch nicht, wen), dann doch wieder öfters in seiner
alten Heimat zu hören sein. Sieht man von einem Abschlusskonzert
zu einem Workshop ab, den Mantler in den Achtzigerjahren abhielt, sind
die Konzerte im Porgy & Bess die ersten Wien-Auftritte Mantlers unter
eigenem Namen.
- Klaus Nüchtern
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