FALTER   September 2006

 


Mäikl is bäck

Michael Mantler, der als junger Mann aus St. Pölten auszog, um in New York Jazzmusiker zu werden, präsentiert in seiner Geburtsstadt Wien drei Konzerte mit einer Auswahl aus seinem Schaffen. Der „Falter“ besuchte ihn in Kopenhagen und sprach mit ihm über Heimat, Free Jazz und alte Gefährten.


Wenn er selbst unter österreichischen Musikfans als „Mäikl Mäntla“ firmiert, dann ist das nicht einfach Ignoranz gegenüber dem „unbekanntesten berühmten österreichischen Musiker“, als der er einmal bezeichnet wurde. Michael Mantler, 1943 in Wien geboren, ist in der Tat eher ein Mäikl als ein Michl, denn seine musikalische Karriere hat sich praktisch ausschließlich im Ausland, vor allem in den USA, abgespielt. Mit 19 verließ Mantler Sankt Pölten, um Jazzmusiker in den Staaten zu werden. Auf die Frage, wie man eigentlich auf so eine Idee komme, antwortet er, als könnte diese bloß rhetorisch gemeint sein: „Ja, es war total verrückt, idiotisch. Ich würde das niemandem empfehlen.“

Zur österreichischen Jazzszene hatte Mantler nie Kontakt gehabt. Seine musikalische Sozialisation verlief zunächst sozusagen im Fernstudium: „Das meiste habe ich im Radio, auf Voice of America, gehört. Und dann habe ich bei Schallplatten Kratz auf der Mariahilfer Straße stundenlang Platten durchgesehen, gehört und bestellt, habe gespart, damit ich mir das kaufen kann.“ Auf diese Weise gelangte er relativ zügig vom Swing zum Free Jazz, von Benny Goodman zu Ornette Coleman. Nach der Matura ging Mantler auf Vermittlung seines Professors an der Akademie für zwei Monate nach New York und arbeitete dort in der Fabrik des berühmten Trompetenbauers Vincent Bach, wo er Mundstücken den letzten Schliff verpasste. An den Abenden besuchte er die Jazzklubs: „Dort habe ich alles und jeden gehört.“

Ein Jahr später erfolgte dann der endgültige Exodus. Mantler ging zunächst für zwei Jahre nach Boston, ans berühmte Berklee College of Music, das damals freilich noch wesentlich kleiner war: „Heute ist das ja eine richtige Universität, aber damals waren vielleicht fünfzig Leute dort.“ Die prägenden und entscheidenden Begegnungen aber fanden 1964 in New York statt, wo eine Gruppe von Musikern im Cellar Café die sogenannte „October Revolution of Jazz“ ausrief. Wichtiger als der bombastische Titel war wohl der Umstand, dass sich die Avantgardeszene um Musiker wie den Trompeter Bill Dixon, die Pianisten Cecil Taylor und Paul Bley, den Saxofonisten Archie Shepp oder den extraterrestrischen Freejazzbigbandleader Sun Ra in der Jazz Composer’s Guild organisierten, ein Pool, aus dem dann vier Jahre später die von Mantler gegründete Jazz Composer’s Orchestra Association hervorgehen sollte.

Dass Mantler, der damals seine Frau Carla Bley kennen lernte, von vielen Jazzfans noch immer mit der Musik aus dieser Zeit assoziiert wird – vor allem mit dem legendären silbernen Doppelalbum „The Jazz Composer’s Orchestra“, auf dem sich Solisten wie Cecil Taylor, Don Cherry oder Pharoah Sanders in einem großorchestralen, von ihm arrangierten und dirigierten Setting austobten –, ist Mantler heute nur noch bedingt recht. Über die Jahre und Jahrzehnte ist der Anteil an Improvisation in seinen Kompositionen immer geringer geworden. Er weiß mittlerweile, was er (hören) will und was er den Musikern abverlangen kann: „Es ist für mich wichtiger zu kontrollieren, was vor sich geht. Es gibt schon noch gewisse Freiheiten, aber nur in einem sehr engen Rahmen“, erklärte Mantler in einem Falter-Interview aus dem Jahr 2000 seinen Weg vom frei improvisierten Jazz zu Werken, die bezeichnenderweise Genrebezeichnungen wie „One Symphony“ oder „Sort-of-an-Opera“ tragen.

„Dass man Free Jazz nicht mag, ist mir sehr verständlich, ich mag den ja auch nicht. Mir ist schleierhaft, dass man so was heutzutage noch immer oder schon wieder spielt“, gibt sich Mantler heute erstaunlich polemisch, um seine Aussage dann wieder mildernd zu relativieren: „Es gibt guten Free Jazz und schlechten. Und achtzig Prozent oder vielleicht 99 Prozent sind schlecht – oder, sagen wir, uninteressant. Aber natürlich finde ich gewisse Platten und Stücke nach wie vor unübertroffen, die rühren mich immer noch. ,Lonely Woman‘ von Ornette Coleman. Auch Cecil Taylor, das Quartett von Don Cherry oder das Trio von Paul Bley: Das sind Meilensteine, und es hört sich immer noch gut an!“

Den USA, immerhin für drei Jahrzehnte seine Heimat, hat Mantler längst den Rücken gekehrt. Seit mittlerweile 15 Jahren lebt er wieder in Europa. Die kleine, helle Wohnung im 4. Stock einer ruhigen Straße im Kopenhagener Stadtteil Frederiksberg ist erstaunlich gut aufgeräumt – das schiere Gegenteil von dem, was dem Klischee des künstlerisch-kreativen Chaos entspräche. Hier verbringt Mantler rund die Hälfte des Jahres, die andere Zeit bewohnt er gemeinsam mit seiner Frau ein kleines Haus in Aix-en-Provence. Von den USA hat er jedenfalls genug – „Ich habe einfach keine Lust, mich mit diesem Land zu beschäftigen; das ist so daneben“ –, was nicht bedeutet, dass er sich nun als Kopenhagener fühlte: „Ich bin hier, weil meine Frau hier ist, und nicht, weil Kopenhagen so fantastisch wäre. Es ist eine kleine Stadt. Und ich würde nicht sagen, dass es meine Heimat ist – wie auch Wien nicht und bestimmt nicht St. Pölten“, meint Mantler.

Die Frage nach der Heimat beantwortet er, der – gemeinsam mit dem Mothers-of-Invention-Keyboarder Don Preston – ein Album namens „Alien“ eingespielt hat, dann doch mit einem zögerlichen „am ehesten New York“. Dort wohnt heute auch Karen Mantler, seine und Carla Bleys Tochter – im alten Büro von Mom and Dad. Den Staaten hatte Mantler unter anderem den Rücken gekehrt, weil er über dem Organisieren von Konzerttouren, Plattenproduktion und -vertrieb überhaupt nicht mehr dazukam zu komponieren: „Ich war mehr oder weniger Carlas Manager, aber selbst kaum mehr musikalisch tätig. Man konnte vielleicht in einem kleinen Scheißklub in Soho spielen, aber etwas kompliziertere Projekte waren undurchführbar. Und die Tourneen mit Carlas Band liefen zwar in Europa sehr gut, in Amerika haben wir damit aber eigentlich immer Geld verloren. Kopenhagen ist wie jede andere europäische Stadt: Hier gibt es ein Publikum, das sich für Musik interessiert, und es gibt ein Kulturleben, das vom Staat über Stipendien und Auftragsarbeiten gefördert wird.“

In den letzten Jahren hat sich die Situation allerdings auch hier verschlechtert. Die Möglichkeiten, etwa mit dem dänischen Rundfunk zu kooperieren, auf diese Weise Konzerte aufzuführen und danach mit den Musikern gleich noch ins Studio zu gehen und eine CD zu produzieren, sind – im Zuge der allgemeinen Budgetkürzungen und der dichten Konkurrenz – geringer geworden. Mantlers Platten erscheinen als „Edition of Contemporary Music“ auf ECM: „Ich produziere meine Sachen selber, was bei ECM sehr rar und eine ziemlich privilegierte Position ist. Ich tu, was ich will, mach alle paar Jahre eine Platte, und Manfred Eicher (Labelchef von ECM, Anm. d. Red.) bringt sie raus, ohne viele Fragen zu stellen.“

Das letzte Album, „Hide and Seek“, eine Komposition für elfköpfiges Kammerensemble und die Stimmen von Robert Wyatt und Susi Hyldgaard nach einem Text von Paul Auster, ist mittlerweile aber auch schon fünf Jahre alt. Dabei würde sich Mantler für so vieles interessieren – für Orchesterstücke oder ein Streichquartett, Musik für Filme, fürs Theater oder das Ballett. Anfragen und Aufträge blieben aber aus, und für die Schublade mag Mantler nicht komponieren: „Das letzte Mal, als ich mit einer Trompete in der Hand auf der Bühne stand, war im November 1997 im Hebbel Theater in Berlin. Da haben wir ,School of Understanding‘ gespielt. Und seit fünf, sechs Jahren habe ich keine Musik mehr geschrieben, weil ich das nur für Aufträge und konkrete Projekte mache. Ich habe kein Interesse daran, mich endlos auszudrücken. Wenn man nur so zu Hause sitzt und auf einer Trompete herumnudelt, hat das mit Musik ja nix zu tun. Ich hatte eine richtige Abscheu vor Musik, wollte keine hören und bestimmt keine machen. Ich hatte wirklich die Nase voll.“

2004 wurde Mantler mit dem Österreichischen Staatspreis für improvisierte Musik ausgezeichnet, heuer folgte der Jakob-Prandtauer-Preis der Landeshauptstadt St. Pölten. Damit ist das Potenzial der für Mantler infrage kommenden österreichischen Preise wohl ausgeschöpft. Die Auftragslage oder Nachfrage ist dadurch freilich um keine Achtelnote besser geworden: „Als ich den Staatspreis bekam, habe ich den Intendanten des St. Pöltner Festspielhauses getroffen: ,Ja, ja, ach, wie interessant – wie heißen Sie noch mal? Müssen wir mal was machen.‘ Drei Monate später herrschte totale Funkstille. Heuer beim Prandtauer-Preis wieder: ,Der Sohn der Stadt kommt zurück. Wir müssen was machen!‘ Die haben ja die Niederösterreichischen Tonkünstler dort, Kristjan Järvi ist Dirigent, ein interessanter Mann, der sich auskennt, auch Neue Musik macht. Ich hatte ein Meeting mit dem Geschäftsführer. Danach: Totenstille. Nichts.“

Dass Mantler seit zwei Monaten wieder Trompete übt, ist das Verdienst von Christoph Huber. Der künstlerische Leiter des Jazzklubs Porgy & Bess hat schon vor Jahren Interesse an einem Wien-Auftritt Mantlers gezeigt, die geplante Aufführung von „Hide and Seek“ war dann aber nicht zustande gekommen. Kommende Woche nun wird Mantler mit einem dreitägigen Porträt gewürdigt, in dessen Rahmen Kompositionen aus drei Jahrzehnten aufgeführt werden. Großteils rekrutiert sich das zwölfköpfige Ensemble aus österreichischen Musikern, zu denen Mantler seit Monaten Kontakt hält, hinzu kommen die Sängerin Mona Larsen, der Multiinstrumentalist Roger Jannotta und der Gitarrist Bjarne Roupé, mit denen Mantler schon auf den letzten Alben zusammengearbeitet hat. Dennoch bedeutet die Erstellung des Wien-Programms, bei dem rund zwei Dutzend Kompositionen in neuen Arrangements zu Gehör gebracht werden sollen, jede Menge Arbeit: „Es muss alles für dieses Ensemble neu geschrieben werden – fast so wie neue Kompositionen. Ich habe das ja jahrelang nicht gesehen und musste es überhaupt erst neu analysieren, kürzen, einige Stücke zusammenziehen.“

Im Verlauf seiner Karriere hat Mantler immer wieder mit herausragenden Solisten aus unterschiedlichen musikalischen Lagern zusammengearbeitet: Mit der Pop-Chanteuse Marianne Faithfull zum Beispiel oder dem Pink-Floyd-Schlagzeuger Nick Mason. Die längstgedienten und am öftesten eingesetzten Alumni aber sind der ehemalige Cream-Bassist Jack Bruce, der schon auf Carla Bleys Opus magnum „Escalator Over the Hill“ zu hören war, und der Schlagzeuger und versonnene Melodienschmied Robert Wyatt. In beiden Fällen sind es die eigenwilligen, sehr gegensätzlichen Stimmen, auf die Mantler für seine Vertonungen von Texten zurückgriff, die ihm für seine Musik geeignet erschienen. Samuel Beckett hat es ihm immer wieder angetan. Er hat Harold Pinters Stück „Silence“ ebenso adaptiert wie Texte des genialen Zeichners Edward Gorey oder Gedichte von Ernst Meister, Philippe Soupault und Giuseppe Ungaretti. Dass er sich dabei – im Unterschied zu dem mitunter schon zwangsironischen und dauerlustigen Werk von Carla Bley – stets als depressiver Düsterling erwiese, mag Mantler so nicht gelten lassen: „Ich hör das auch dauernd, finde es aber blödsinnig. Die Welt befindet sich in einem gewissen Zustand, das kommt wahrscheinlich irgendwie raus, aber es ist nicht so, dass ich gezielt was Depressives schreiben würde. Beckett ist ja ein richtiger Komiker.“

Mit Bruce hat Mantler zuletzt auf dem 1996 eingespielten „The School of Understanding“ zusammengearbeitet, für das er ausnahmsweise eigene Worte verwendete. Das Wiedervereinigungskonzert von Cream im Mai vorigen Jahres hat er mit Wohlwollen verfolgt: „Ich war sehr überrascht, dass ihnen das gelungen ist, habe den Auftritt ein bisschen im Fernsehen verfolgt: Das war gut gespielt – wie damals. Cream waren eine tolle Band, die ich sehr gemocht habe. Wobei für mich Jack Bruce immer der Wichtigste war, derjenige, der die beste Musik geschrieben hat. Seine Soloplatten sind auch viel interessanter als die der beiden anderen. Ginger Baker kann man sowieso vergessen, und Clapton – na ja. Jack ist ein fantastischer Musiker! Er liest alles vom Blatt und macht es aus dem Stand. Ganz anders als Robert Wyatt, der keine Noten lesen kann, aber ein tolles Gehör hat. Er sucht sich das am Klavier zusammen, oder ich schicke ihm Tapes, von denen er das lernt. Er arbeitet schwer dran, bis er es perfekt kann.“

Mantlers Ambitionen, in irgendjemandes Band mitzuspielen, sind hingegen ziemlich gering: „Das war okay in den Tagen der Carla-Bley-Band. Das war unheimlich gute Musik, und es hat Spaß gemacht, als Mitglied eines Ensembles diese Musik zu verwirklichen – wunderbar! Aber es fiele mir keine Band ein, in der ich unbedingt mitspielen wollte.“ Eine Ausnahme fällt ihm dann allerdings doch ein: „Wenn mich Robert Wyatt bitten würde, für ihn zu spielen – das würde ich schon machen.“

Sein eigenes Werk wird Mantler übrigens auch auf CD einer Neusichtung unterziehen. Noch diesen Herbst wird mit „Review“ ein Album erscheinen, das 22 Stücke und Ausschnitte aus dem Schaffen von 1968 bis 2000 umfasst. Und vielleicht wird Mantler, der nach wie vor österreichischer Staatsbürger ist und sein Lebtag noch nie wählen war („Ich wüsste auch nicht, wen“), dann doch wieder öfters in seiner alten Heimat zu hören sein. Sieht man von einem Abschlusskonzert zu einem Workshop ab, den Mantler in den Achtzigerjahren abhielt, sind die Konzerte im Porgy & Bess die ersten Wien-Auftritte Mantlers unter eigenem Namen.


- Klaus Nüchtern

 
     
 

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