JAZZ PODIUM   Mai 2000

 


Die vertonten Texte, das sind absolute Melodien! Im vollsten Sinn von Melodie. Meine Musik war praktisch von Anfang an orchestral gedacht, selbst wenn es kleinere Ensembles sind.


Michael Mantler
Trompeter, Produzent, Komponist

Der Name Mike Mantler war seit dem Erscheinen des opulenten silbernen Albums "The Jazz Composer´s Orchestra" als Eigenproduktion mit der Bestellnummer JCOA LP 1001/2 im Jahre 1969 fest mit der damaligen amerikanischen Jazz-Avantgarde verbunden. Schließlich spielten auf dieser legendären Aufnahme der Musik von Michael Mantler als Solisten Jazzgrößen wie Cecil Taylor, Don Cherry, Roswell Rudd, Pharoah Sanders, Larry Coryell und Gato Barbieri unter der Leitung des Komponisten. Im Orchester saßen dabei unter anderen Steve Lacy, Lew Tabackin, Randy Brecker, Julius Watkins, Jimmy Knepper, Howard Johnson, Carla Bley, Andrew Cyrille und die Bassistenelite Kent Carter, Ron Carter, Richard Davis, Charlie Haden, Reggie Workman, Eddie Gomez, Alan Silva und Steve Swallow. Als Trompeter wirkte Mantler auf berühmten Aufnahmen von Gary Burton (Carla Bleys "A Genuine Tong Funeral") und Charlie Hadens Liberation Music Orchestra (1969/70) mit. Am späteren goldenen JCOA-Album "Escalator Over The Hill" mit der Musik von Carla Bley war er als Trompeter, Tonmischer, Produzent und Koordinator beteiligt.

Verbunden ist der Name Mike Mantler auch persönlich mit Carla Bley und der gemeinsamen Tochter Karen Mantler, mit dem "New Music Distribution Service" und dessen Bemühungen um einen weltweiten künstlerisch motivierten Musikmarkt kleiner Jazz-Plattenproduzenten (u. a. ECM, FMP, ICP, Birth) unabhängig von den Geldinteressen der großen Plattenfirmen, dann mit den "WATT Works" und der "WATT Family" um WATT Records, dem Label von Carla Bley, und XtraWATT. Und darüber wieder mit ECM. Denn die Münchener Firma war von Anfang an erst deutscher und später weltweiter Vertriebs- und auch Produktionspartner von JCOA Records und WATT.

ECM hat heute fast das ganze Mantlersche Oeuvre im Angebot und präsentiert es unter dem Titel "Michael Mantler Edition of Contemporary Music" in einem eigenen Prospekt. In den letzten Wochen wurde dieser durch die ganz neu erschienene vierte CD Mantlers bei ECM "Songs and One Symphony" ergänzt, eingespielt vom "Chamber Music and Songs Ensemble" beziehungsweise vom Radio-Symphonie-Orchester Frankfurt. Die Wiederveröffentlichung von jeweils zwei WATT-Scheiben "Movies/More Movies" (1977-1980, u. a. mit Coryell, Philip Catherine, Swallow, Carla Bley, Tony Williams, D. Sharp) und "No Answer/Silence" (1973/1976, u. a. mit Jack Bruce, Don Cherry, Carla Bley, Robert Wyatt und Ron McClure) erstmalig auf CD und das Wiedererscheinen von "Alien" (1985) und "Something There" (1982) mit neu gestalteten Hüllen und Booklets vervollständigen den Katalog.

Die Geschichte des so fruchtbaren Musikers Mantler beginnt 1943 nicht allzuweit vom Sitz seines heutigen Plattenverlegers. Denn der vermeintlich amerikanische Trompeter und Produzent stammt aus Wien. Wie viele junge europäische Jazzer ging er zum Studium nach Boston ans Berklee College of Music. Von wo er bald nach New York kam und zur dortigen Avantgarde-Szene stieß. Es war die Gunst der Stunde, dass er zur richtigen Zeit am richtigen Ort war. Auch mit dem österreichischen Namen hatte er dabei "Glück, denn bei gewissen europäischen  Namen ist es absolut sofort klar: Das ist kein Amerikaner. Mike Mantler war da  günstig." Dass er Europäer war, Weißer, darum hat sich somit kaum jemand gekümmert, es ging nur um die Musik. "Die Hautfarbe hat manchmal eine Rolle  gespielt, war aber nicht das Hauptthema. Es ging wirklich darum, eine andere  Musik zu spielen, eine Musik, die absolut nicht gefördert wurde und relativ  unpopulär war.

"Mein ganzes musikalisches Leben hat sich eigentlich in Amerika abgespielt. Deswegen wissen die Leute nicht, dass ich Österreicher bin. Als ich 1962 von  Wien weg bin, war ich 19, hatte also vorher keine musikalische Karriere dort.  Jazz war der Grund, warum ich nach Amerika bin, das war natürlich der Ort, wo  Jazz sich abspielte. Rock kam erst später, zu dem Zeitpunkt hatte ich gar kein  Interesse daran. Boston war nur eine Zwischenstation. Das College damals war  nicht zu vergleichen mit dem heutigen riesigen Fabrikbetrieb. Damals war es  eine kleine Auswahl mit 50 Schülern vielleicht, eher eine Musikerszene als eine  Schule, wo man viele Leute kennenlernte. Das war wichtig. Ich war nie sehr  interessiert an "education", war wohl noch ein oder zwei Jahre in Boston, bin  aber dann nach New York gegangen und dort sofort auf die wichtigen Leute  gestoßen und habe mit denen gearbeitet. Es war eben die Periode, wo sich  vieles getan hat, in der Musik und auch in der Szene, wo Gelegenheiten  geschaffen wurden, selbst etwas zu schaffen."

Seit 1991 lebt Mantler wieder in Europa, in Kopenhagen.

"Der Umzug hat sich günstig ergeben. Das war das Ende einer Periode. Ich war  kaum mehr als Musiker und Komponist tätig. Hauptsächlich war ich mit der  Firma beschäftigt, mit Watt Works, mit dem Studio, mit der Plattenfirma, mit  Carla Bleys Angelegenheiten, Tourneen, Aufnahmen und so weiter - zu meinem  Nachteil als Musiker. Das wollte ich ändern. Dazu kam, dass meine Frau Dänin  ist, und die Zusammenarbeit mit dem dänischen Radio. Das hat vieles  ermöglicht,  das ich vorher überhaupt nicht tun hätte können."

"Wie sieht Ihre Arbeit heute aus? Ist das "Chamber Music and Songs Ensemble", mit dem Sie auch die neue CD eingespielt haben, eine feste Band, treten Sie damit live auf?"

"Nein, ich habe überhaupt keine feste Band. Das ist ein Ensemble, das eine  Band sein könnte, die sich aber nie verwirklicht hat, obwohl sie existiert. Man  könnte auf Tournee gehen und Konzerte spielen, in gewissem Maße. Aber es ist  immer noch zu kompliziert und hat immer noch nicht die richtige "Box": Auf der  einen Seite sind die Jazz-Promoter, Festivals, Clubs nicht besonders an dem  interessiert, was nicht eindeutig Jazz ist. Wieder einmal. Und die Klassik -  Veranstalter auf der Gegenseite wollen das auch nicht. Es ist wie zwischen zwei  Stühlen, es ist deshalb keine sehr aktive "Band". Es ist ein Nukleus von  Mitwirkenden, die auch bei den Aufnahmen mit der "Danish Radio Big Band" zu  "Cerco un paese innocente" dabei waren. Das Ensemble war dabei der Solist, sozusagen. Ich habe es auch verwendet in der "School of Understanding", der  Oper. Davon habe ich einige Aufführungen gemacht. Das waren die einzigen  Auftritte."

Die Aufnahmen der "Songs" auf der neuen CD stammen aus einer Periode, als das Ensemble mit Sängerin Mona Larsen, Trompeter Mantler, Gitarrist Bjarne Roupé (mit Palle Mikkelborg und Miles Davis auf "Aura"), Kim Kristensen am Piano und einem Streichquartett mit der Jazzabteilung des Dänischen Rundfunks zusammenarbeitete, im Oktober 1993. "The School of Understanding, Sort-Of-An-Opera", deren Musik und Text von Mantler stammen, wurde 1996 aufgenommen. Auch an Mantlers neuestem Projekt, das seit Anfang Februar entsteht, sind die Musiker wieder beteiligt. Der Komponist Mantler ist einen sehr weiten Weg gegangen, vom großorchestralen, trotzdem sehr freien Free Jazz, über den Einbezug von Rock- und elektronischer Musik hin zur Zusammenarbeit mit der Danish Radio Big Band, Streichern des "London Symphony Orchestra", dem "Balanescu String Quartet", zu einer Art Oper und nun einer Symphonie. Mantler hat offensichtlich keine Scheu vor musikalischen Grenzen. Gleichzeitig gibt es zwei Konstanten in seinem Werk: die Liebe zu orchestraler Musik und eine Vorliebe für die Vertonung von Sprache und den Einsatz von Stimmen. Mantler legt großen Wert darauf, dass es sich dabei wirklich um Gesang handelt, nicht nur um Sprechgesang oder Rezitation.

"Das Komponieren im klassischen Sinn von ausgeschriebener Musik scheint für Sie immer wichtiger zu werden. Sind Sie mit Ihrer "Symphony" an einem Endpunkt der Entwicklung?"

"Nein, das ist nicht unbedingt ein Endpunkt; das ist von der Musik her ganz  typisch für das, was ich normalerweise tue. Aber es ist eben in der Form für ein  klassisches Symphonieorchester in Standardbesetzung geschrieben und so  präzise notiert, dass es theoretischerweise von jedem Orchester an jeglichem Ort  der Welt gespielt werden könnte, was mit keinem meiner anderen Projekte  möglich gewesen wäre. Das ist nicht der Endpunkt, ich will nicht nur das tun, obwohl ich daran interessiert bin, mehr Kontrolle zu haben. Ich schreibe bei  meinen neuen Stücken sehr kontrolliert, und die Musiker haben weniger Freiheit, aber ich möchte doch eine gewisse Art von Musikern und Sängern verwenden, die immerhin noch eine Freiheit haben, gewisse Dinge vielleicht nicht zu  improvisieren, aber zu interpretieren, freier als ein klassischer Sänger oder  Musiker das tun könnte oder es ihm erlaubt wäre zu tun. Die vertonten Texte,  das sind absolute Melodien! Im vollsten Sinn von Melodie. Meine Musik war  praktisch von Anfang an orchestral gedacht, selbst wenn es kleinere Ensembles  sind."

"Das gilt ja gerade sogar für das Trompeten-Synthesizer-Duo mit Don Preston auf 'Alien'."

"Ja, genau. Auch "No Answer" mit Jack Bruce, das war auch irgendwie  orchestral . Das ging immer durch die Musik durch. Ich dachte immer als  Komponist, ganz von Anfang an. Das ist natürlich auch der ganze Grund für  diese  Jazz-Composers-Orchestra-Stücke, die Free Jazz verwendeten und den  Genius der besten Free-Jazz-Spieler und Improvisatoren, dass die durch eine  Komposition gestützt und irgendwie gezügelt werden konnten. Und viele von  denen, ich finde das immer noch, haben am besten geklungen innerhalb von so  einem Rahmen. Und für mich war eben das das Interessanteste am Free Jazz.  Obwohl ich viele Jahre lang als Spieler selbst am Free Jazz beteiligt war, auch  ohne Struktur, vorher schon und zum Teil auch nachher, war das immer weniger  interessant für mich als das mehr Strukturierte. Wenn ich mir irgendwie eine  Freiheit bewahren konnte im Rahmen von dieser Struktur. Und das ist  Komposition. Die Symphonie heute ist allerdings total notiert. Zum Jazz habe  ich eigentlich nur noch sehr wenig Beziehung, obwohl ich ein Mitglied der  Jazzgemeinschaft bin oder als solches angesehen werde. Aber die meisten, die  mich kennen, kommen vom Jazz her und meine Platten findet man  normalerweise in der Jazzabteilung. Irgendwie ist das durch die Geschichte  bedingt, nehme ich an. Aber ich habe überhaupt kein Verhältnis zum  zeitgenössichen Jazzbereich, außer zu bestimmten Musikern, die ich verwende,  mit denen ich arbeite. Ich war auch damals von vielen Leuten nicht als  Jazzmusiker betrachtet, obwohl das jetzt die klassische Musik ist. Das ist auch  egal. Es ist eine technische Schwierigkeit, wie man wo eingereiht wird oder werden  kann."

"Edward Gorey, Samuel Beckett, Ernst Meister, Harold Pinter, Philippe Soupault, Giuseppe Ungaretti, Mantler, und jetzt wieder Ernst Meister, die "Songs" diesmal auf Englisch. Welche Bedeutung hat Sprache und Literatur für Sie, für Ihre Musik? Wonach wählen Sie die Dichter und Gedichte aus?"

"Diese Songs sind neue Versionen von denen, die schon existierten auf der  "Many  Have No Speech"-Platte. Ich habe für dieses "Chamber Music und  Songs"-Ensemble altes Material zusammen gesucht und neu verarbeitet, eine  Retrospektive von vielen verschiedenen Dingen. Für die CD habe ich nur dieses  Material verwendet, am passendsten gefunden, nur rein von der Musik her, von der  Komposition, ihrer Struktur, wie das zu der Symphonie passt. Die beiden  Teile wurden ja nicht zusammen gedacht. Es sind wirklich zwei verschiedene  Teile, obwohl ich finde, dass sie sehr gut zusammen passen.

Ursprünglich war es wirklich andersrum. Es war mein Interesse, eine bestimmte  Art von Stimmen zu verwenden, einen gewissen Klang, ein gewisses Gefühl, einen  gewissen Ausdruck, die nicht so sehr vom Jazzgesang, aber von Rock-  und Bluessängern, wie Jack Bruce zum Beispiel, herkamen. Robert Wyatt ist  wieder eine Ausnahme, weil der eine ganz originelle Stimme war, die nicht  unbedingt von dieser Richtung kam. Ganz was anderes, aber auch eine  interessante und eine imperfekte Stimme wie Jack Bruces Obergesang. Diese  Stimmen mussten etwas singen. Ich war nicht besonders daran interessiert, mit  wortlosem Gesang, mit Silben und so zu experimentieren. Ich mag das nicht  besonders. Drum wollte ich Worte finden, die mir gefielen, die eine gewisse Lyrik  eingebaut hatten, was eine Präzision und Klarheit haben musste. Und die mir  auch etwas sagten und hoffentlich auch anderen Leuten etwas sagen, die aber  auch sehr abstrakt und irgendwie zweideutig waren, sodass man das  verschieden  interpretieren konnte. Da waren gewisse Gedichte, Stücke oder  Prosa-Auszüge von Beckett für meine Zwecke sehr gut geeignet. Alle anderen  wurden auf dieselbe Art gefunden. Das war eine bestimmte Linie von Beckett zu  Pinter, Meister, Ungaretti, Autoren, die eine gewisse Kargheit der Sprache haben,  die ich gut finde und für die ich es leicht finde, die Musik zu schreiben. Außer  Edward Gorey. Das war eine Tangente, die ich ganz lustig fand, diese Art  Gedichte, die auch Humor hatten."


"Ihre Kompositionen tragen meist sehr abstrakte Namen, häufig sind es nur Nummern. Selbst auf den gerade wiederveröffentlichten "Movie"-Scheiben nummerieren Sie die meisten der fiktiven Filmmusiken, obwohl man gerade hier eher assoziative Titel wie "The Doubtful Guest" erwarten würde. Welche Bilder schwebten Ihnen dabei vor?"

"Überhaupt keine. Weil ich keine Programmmusik schreibe, ja nicht einmal  andeuten möchte, was oder dass etwas dahinter steckt, habe ich überhaupt  angefangen nur mit Nummern. Die ersten waren diese "Communications" (wie  auf der ersten JCOA-Scheibe), was sagen sollte "Music communicates with  someone", die wurden dann einfach nummeriert. Dann habe ich nur noch  Nummern verwendet, die sind weiter gelaufen wie Opus-Nummern. Dann ist mir  das langweilig geworden. Aber auch die "Movies" haben mit Filmen absolut  nichts zu tun, das sind nur Titel oder Instrumentalversionen von den  Gorey -Sachen."

Mantler mag Film sehr gern, hätte auch gerne Filmmusik geschrieben. Aber zu seinem Bedauern ist es ihm bisher nicht gelungen, sich mit einem Regisseur zusammen zu tun, obwohl er davon überzeugt ist, dass diese Musik sehr gut zu gewissen Filmen passen würde. Die auffällige Wiederkehr von Begriffen wie Kommunikation, Verstehen, Sprachlosigkeit, Stille im Zusammenhang mit Mantlers Musik ist natürlich nicht zufällig.

"Beschäftigt Sie die Musik als Kommunikationsmittel so, dass Kommunikation oder ihre Abwesenheit zu einem Thema für Sie geworden ist?"

"Absolut, obwohl es nichts mit dem eigentlichen Komponieren von Musik zu tun  hat. Aber wenn sich's so dann ergibt, dass die Musik was aussagt - dann würde  ich sie als erfolgreich betrachten - im allgemeinen Sinn von einer Kommunikation  mit einem seriösen, aufgeschlossenen Publikum von mehr oder weniger moderner  Musik"

"Warum nennen Sie "The School of Understanding" nur eine Art von Oper?"

"Ich mag Opern nicht, als Kunstform, hasse sie, muss ich genau sagen. Aber  das ist ein Stück, das sich theatralisch abspielt oder abspielen kann, obwohl ich  finde, es ist musikalisch auch stark genug, um auf einer CD zu sein. Man  vermisst dabei nichts. Es wurde auch von Anfang an so gedacht, so komponiert, dass es nicht unbedingt eine Aufführung sein muss, dass man es wirklich sehen  kann. Aber es war tatsächlich ein Musiktheater, es gab drei Aufführungen in  Kopenhagen in einem Museum, mit Inszenierung, Bühnenbild, sehr vielen  Projektionen, Multimedia-Dingen. Und dieses Ensemble begleitete sieben  Sänger. Ursprünglich hieß es "School Of Languages", es waren Texte in  mehreren Sprachen. Ich habe es dann geändert und das mehrsprachige Element herausgenommen und auf "understanding" konzentriert. Die Idee kam von diesen  Sprachschulen, diesen Konversationskursen, wo einige Leute herumgehen, sich  was im Fernsehen ansehen, darüber diskutieren, Worte lernen, diskutieren, was  vor sich geht, mit einem Lehrer und einem "Beobachter". Das war Jack Bruce,  der eigentlich nicht  Bestandteil dieser Sänger-Gruppe war, sich auch physisch  woanders im Saal  aufhielt. Das wurde dann auch wiederaufgeführt, dreimal im  Hebbel-Theater in  Berlin."

So ist der Komponist Mantler einen konsequenten und logischen Weg gegangen vom Einsatz einzelner Stimmen zu einer gesangsbestimmten musikalischen Großform, von "The Hapless Child" und "Cerco un paese innocente" zur "School of Understanding". Wobei er selber eine weniger direkte Verbindung zu den ersten Stücken mit Text auf "No Answer" sieht. Im "Chamber Music and Songs Ensemble" wie auf den meisten Platten von Carla Bley wirkt auch der Trompeter Mantler mit, bei einigen früheren Aufnahmen, so den jetzt wiederveröffentlichten "No Answer" und "Silence" oder beim "Jazz Composers Orchestra", trat der Komponist nur als Leiter in Aktion.

"Ich bevorzuge das Komponieren und die Verwirklichung im Studio. Live  Performances sind nicht unbedingt das Wichtigste oder auch das Angenehmste. Die Mitwirkung als Trompeter ist im Prozess der Komposition mit inbegriffen:  Hier will ich, dass ich etwas Gewisses spiele. Ich denke beim Komponieren  normalerweise an bestimmte Musiker, außer wenn ich zum Beispiel eine  Symphonie schreibe. Wenn ich weiß, dass das ein Projekt ist, wo ich Trompete  spiele, dann wird das für mich geschrieben. Aber es ist nicht wichtig, dass ich da  endlos lange Trompetensoli spiele. Meine Musik ist nicht auf Trompete bezogen, Trompete kann der Bestandteil von einem Gewebe sein, aber es ist nicht der  Hauptbestandteil. Mit Carla Bley war es wieder ganz was anderes, natürlich. Das  war eine Freude, Trompete in einem Ensemble zu spielen, Musik zu spielen, die  einem gefiel, wo es Spaß machte, zu spielen. Aber das war schon lange vorbei, bevor ich zurück nach Europa gegangen bin. Ich habe da schon nicht mehr in  Carlas Band gespielt, weil sich irgendwie ihre Richtung geändert hat und sie eine  andere Art von Musikern angefangen hat zu verwenden, mehr Studiomusiker wie  zum Beispiel Lew Soloff. Diese Band, in der ich gespielt habe und die lange Zeit  bestanden hat, diese Ten Piece Band, war eine ganz spezielle Instrumentation  und auch Kombination von Musikern. Das war sehr schön für mich, ich mochte  das gerne"

Wieder in einem fremden Projekt Trompete zu spielen, kann sich Michael Mantler schon vorstellen, aber es müsste ein seriöses größeres Unterfangen sein, für das es sich lohnen würde, auf dem Instrument zu üben, das er sonst nicht mehr regelmäßig spielt.

"Welche Bedeutung haben Ihre alten Aufnahmen heute für Sie? Gibt es eine Renaissance freier Musik? Eine Mantler-Renaissance?"

(Lacht:) "Wir hoffen es. Die freie Musik hat nie aufgehört, und viele junge Musiker spielen sie. Und auch viele ältere spielen sie immer noch. Ich finde es eigentlich  erstaunlich, dass das tatsächlich immer noch und wieder existiert. Das wird  scheinbar immer wieder erfunden oder gefunden. Ich finde, meine Aufnahmen  sind alle wichtig im Rahmen eines Gesamtwerkes. Ich habe nie sehr viel  aufgenommen. Es waren fast immer längere Projekte, die ich in größeren  Abständen verwirklicht habe. Vor der ersten ECM-Aufnahme war keine Platte  erschienen für sechs oder sieben Jahre. Jetzt geschieht es relativ regelmäßig, etwa alle zwei Jahre. Ich nehme mir längere Zeit, um etwas gedeihen zu lassen. Beim nächsten Projekt ist die Instrumentation ein erweitertes "Chamber Music  Ensemble", es sind jetzt neun Streicher, mehrere Holzblasinstrumente, die alle  von Roger Jannotta gespielt werden, der auch in der "School of Understanding"  dabei war, dann wieder Vibraphon, Marimba, zwei Gitarren, die eine mehr  harfenmäßig, die andere die melodiöse, Rock singende Gitarre, zwei Trompeten, auch ich selbst, Horn, zwei Posaunen, Klavier. Ein größeres Kammerorchester  also. Dazu zwei Sänger, wieder Robert Wyatt und Susi Hyldgaard,die gewisse  Texte von Paul Auster singen, die ich aus einem kurzen Schauspiel genommen  habe, das "Hide and Seek" heißt. Ich arbeite seit ungefähr einem Jahr an dem. Die Aufnahmen werden Anfang des Sommers fertig sein und im Laufe eines  Jahres erscheinen."

- Godehard Lutz

 
       
 

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