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Michael Mantler
Kaum ein Musiker, der solcherart experimentierfreudig
die Grenzen zwischen ernster Musik, Rock und Jazz zu brechen wusste und
dabei die unglaublichsten Besetzungen funktionieren ließ wie Michael
Mantler.
Geboren im Wien des Jahres 1943, wanderte er 1962 im zarten Alter von
19 Jahren in die USA aus. 1964 begann seine musikalische Karriere als
Trompeter der tastendrückenden Improvisations-Ikone Cecil Taylor
in New York. Mantler gründete das Jazz Composer's Orchestra mit seiner
späteren Frau Carla Bley, spielte in Charlie Hadens Liberation Music
Orchestra und startete 1972 einen Vertriebsservice für Neue Musik.
1973 rief er sein eignes Label WATT ins Leben, das ausschließlich
Werke von Carla Bley und ihm selbst veröffentlichte. Auf diesem Label
erschienen in den 70er Jahren bahnbrechende Alben wie The Hapless Child,
No Answer, Silence, Movies und More Movies. Mantler rief Musiker
wie Mike Stern, Nick Mason, Larry Coryell, Tony Williams, Philip Catherine,
Kevin Coyne, Don Cherry, Jack Bruce, Chris Spedding und Robert Wyatt ins
eigene Studio. Kaum dass diese Aufnahmen nun endlich auch auf CD erhältlich
sind, veröffentlicht Mantler zwei neue Werke orchestralen Stils,
während er an einem dritten bereits bastelt. Grund genug, das musikalische
Chamäleon aufzusuchen und mit ihm über Musiker, Schriftsteller
und andere Aliens zu sprechen.
Eric Zwang Eriksson: Deine
musikalische Entwicklung führte dich vom einstmals freien Jazz zum
aktuellen, streng komponierten Werk für Orchester One Symphony,
das keinen Spielraum für Improvisation lässt. Woher kommt dieser
doch recht drastische Wechsel? War es weniger zufriedenstellend, mit Musikern
zu arbeiten, deren Spiel auf einer improvisatorischen Grundlage basiert?
Michael Mantler: Nein, es war eher eine Frage der Risiken. Zu jener
Zeit, da die Improvisation einen großen Teil meiner Stücke
prägte, musste ich mich dauernd darauf verlassen, dass die Musiker
tatsächlich etwas Gutes spielten. Eine Zeit lang arbeitete ich mit
Leuten zusammen, von denen ich wusste, dass sie fantastische Spieler waren,
und ich konnte ziemlich genau einschätzen, was sie spielen konnten,
wie sie auf was reagierten und was also im Endeffekt erreicht werden konnte,
wenn ich ihnen gewisse Materialien gab. Damals war es interessant, ihren
Input zu bekommen und dadurch die Musik zu verändern. Doch es hatte
für mich zu viel von einem Glücksspiel. Hinzu kommt, dass es
mittlerweile nicht mehr so viele großartige Solisten gibt, in die
ich das Vertrauen hätte zu sagen: OK, spiel, was du willst. Im Jazz
Composer's Orchestra war ausser den Stimmen für die Solisten der
Stücke alles ausnotiert. Aber auch die hatten ihre "Texte",
also die Musik, die um sie herum war. So standen die Improvisationen in
direkten Reaktionen auf ihr Umfeld, waren dadurch kontrolliert. Auch heute
noch verwende ich improvisierende Musiker sehr gerne, ohne dass ich sie
improvisieren lassen würde, weil sie im Gegensatz zu "klassischen"
Musikern eine ganz besondere Art haben, Geschriebenes zu interpretieren
und zu phrasieren. Bei einem Symphonieorchester zum Beispiel weiß
ich genau: Da sitzen hundert klassisch geschulte Symphoniker. Wenn man
denen etwas vorlegt, ohne ihnen zum Beispiel genaue dynamische Informationen
zu geben, können die das nicht spielen. Sie brauchen den Bogen, genaueste
Angaben, ansonsten besteht das Papier, das da vor ihnen auf dem Pult liegt,
für sie aus nichts anderem als wertlosen Noten. Es ist nicht ihre
Aufgabe zu erfinden, wie man etwas spielt.
EZE: Was bedeutet, dass die Musik, die er schreiben will, Im Vorfeld
bereits sehr klar im Bewusstsein des Komponisten vorhanden sein muss.
MM: Das ist richtig und auch das Schwierigste daran. Jazzmusiker
interpretieren meine Stücke auf eine Weise, die ihrer jeweiligen
Tradition entspricht. Meine Wahl dieser Musiker findet also anhand ihrer
Tradition statt, und ich muss nicht exakt notieren, was sie spielen sollen,
denn ich möchte ja ihre Tradition in meiner Musik wiederfinden. Das
ist eine Methode Musik zu machen. Ich sage nicht, dass sie schlecht
ist, im Gegenteil: Es ist ein sehr interessanter Weg. Obwohl es im Jazz
mittlerweile sehr vorhersehbar ist, was passieren wird. Es ist ausgereizt.
Das Element der Improvisation ist mittlerweilen derart formuliert, dass
auch hier die Phrasen und Einfälle bereits gewöhnlich geworden
sind. Es gibt kaum Neues.
EZE: Mit Neuem allerdings überraschte dein letztes Album,
auf dem im ersten Teil (Songs) Texte Ernst Meisters mit einem kleinen
Ensemble umgesetzt werden. Im zweiten Teil (One Symphony) schlägt
dann ein riesiger Orchesterapparat zu. Beide Kompositionen klingen ausnotiert.
MM: One Symphony ist total streng komponiert. Alles ist
ausnotiert, und es gibt keine Improvisation jeglicher Art. Ein bewusstes
Vorgehen, um die Möglichkeit zu schaffen, dass einmal eine meiner
Musiken unabhängig von Ort, Orchester und Dirigenten gespielt werden
kann, theoretisch zumindest. Ohne dass ich dabei sein muss, und ohne dass
dadurch größere Probleme entstehen, Das war meine Idee und
der Grund für das strenge Komponieren.
EZE: Lag für dich in der Möglichkeit, dass jedes Orchester
in der Welt dieses Werk reproduzieren könnte, der Reiz der One
Symphony?
MM: Nein, das war eigentlich nur ein Nebenprodukt. Vom Anfang meiner
musikalischen Karriere an, also seit ungefähr dreißig Jahren,
hat es mich gereizt, für ein Orchester zu schreiben. Wer meine Musik
kennt, kann nachvollziehen, dass auch meine Kompositionen für kleinere
Ensembles orchestral durchdacht sind. Es waren nicht die Ideen, sondern
eher ökonomische Überlegungen, die das Nutzen eines Orchesters
einschränken. Die Chance, ein Orchester zur Hand zu haben oder selber
zusammenzustellen, was mir mit dem Jazz Composer's Orchestra in gewisser
Weise gelungen ist, kommt eher selten vor. Von einem Symphonieorchester
muss man um eine Komposition gefragt werden, und es ist sehr schwierig,
in den kleinen Kreis zeitgenössischer Komponisten einzudringen, die
für Orchester schreiben. Die Idee, für einen großen, symphonischen
Apparat zu schreiben, war für mich also nichts Neues. Dass One
Symphony ohne Improvisation auskommt, war allerdings speziell mit
diesem Projekt bezweckt. Dass ich mehr und mehr Kontrolle über die
Musik haben will und den Solisten weniger Freiheit gebe, hat sich allerdings
im Laufe der Jahre entwickelt. Mittlerweile weiß ich genau, was
ich will, und ich kann einfach sagen: OK, spiel das.
EZE: Das Gefühl, dass deine Kompositionen sehr durchdacht
und auf die interpretierenden Musiker oder Ensembles hin geschrieben sind,
ist bei allen deinen Stücken spürbar ...
MM: Für die Stimmen trifft das in jedem Fall zu. Ich habe
nie etwas geschrieben und erst dann einen Sänger gesucht. Ich wusste
immer gleich, wer was singen wird. Bei den Instrumentalisten war es früher
sicher genau so: Ich hatte die Musiker im Sinn, bevor ich mit der Arbeit
an einem Stück begann. Auch jetzt, im Stadium des strengen Komponierens,
habe ich gewisse Vorstellungen davon, wie ein Instrument klingen soll.
Ein Klavier ist ein Klavier, aber nimm zum Beispiel einen Gitarristen.
Hier ist ja nicht einzig die Melodie die Charakteristik eines Stückes,
sondern gleichsam die Klangfarbe des Instrumentes, die wiederum dem Geschmack
des Gitarristen entspricht. Einen Mike Stern wirst Du an seinem Klang
sofort erkennen, einen Terje Rypdal auch. Das Ensemble, mit dem ich zur
Zeit intensiv arbeite, entspricht eher der Vorstellung eines Klanges:
ein Streichquartett, verdoppelt oder vertrippelt, Klavier, Gitarre, ein
bisschen Trompete und vielleicht noch ein Holzbläser.
EZE: Kommen wir zu Alien, einer Einspielung im Duo mit Don
Preston (von den Mothers of Invention) aus dem Jahre 1985. Der Titel hat
nun sicher nichts mit dem gleichnamigen Film von Ridley Scott zu tun ...
MM: Oh nein, natürlich nicht, auch wenn ich den ersten Teil
der Alien-Quadrologie sehr genossen habe. Vielmehr fühlte
ich mich, und ich tue es noch, wie ein Alien. Was nicht nur in geografischer
Hinsicht als Österreicher in New York, sondern auch im Sinne von
musikalischen Kategorien, in die ich mich nie pressen lassen will, sehr
zutreffend ist.
EZE: Hast du das zu spüren bekommen?
MM: Ich spüre das andauernd. Ich bin nie nirgendwo zu Hause;
weder musikalisch noch geografisch. Mit 19 habe ich Österreich verlassen
und war seither an keinem Ort, den ich wirklich zu Hause nennen würde.
Was auch in Ordnung ist, denn ich empfinde dieses "zu Hause sein"
nicht. Wie Ungaretti bereits sagt: Cerco Un Paese Innocente
(Dt.: Ich suche ein unschuldiges Land). Obwohl ich nicht einmal suche.
Alien scheint mir in jedem Fall ein angemessener Titel, gleichzeitig
der Ausdruck für ein (Lebens-)Gefühl.
EZE: Dein ganzes Werk ist durchzogen von Verklanglichungen diverser
Schriftsteller, allen voran und gleich auf mehreren Alben vertreten Samuel
Beckett, aber auch Edward Gorey, Harold Pinter, Philippe Soupault, Giuseppe
Ungaretti und Ernst Meister. Schriften als Inspirationsquelle?
MM: Das Ganze fing eigentlich am anderen Ende an, nämlich
durch den Wunsch, Stimmen zu verwenden. Dabei suchte ich eine ganz bestimmte
Art von Stimmen, imperfekte Stimmen, die eigentlich aus dem Blues kommen
wie jene von Jack Bruce. Sie sollten von Gefühlen geprägt sein,
von Emotion, nicht von einer klassischen Ausbildung. Auch von den Texten
hatte ich gewisse Vorstellungen. Ich war nicht daran interessiert, wortlose
Silben zu erfinden, nur um einen Text zu haben. Ich war auf der Suche
nach Worten, oder besser einer Anreihung von Worten, die etwas aussagte.
Keine Geschichten, sondern abstrakte Texte, deren Interpretation offen
ist. Beckett, der in diesem Sinne geschrieben hat, habe ich immer schon
sehr gerne gelesen. Er ist für mich der größte, interessanteste
und konsistenteste aller Schriftsteller. Jahrelang habe ich nichts anderes
lesen müssen. Beckett reichte mir vollkommen. Seine Sprache ist so
schön und klar und drückt genau das aus, was ich fühlte.
Die meisten der anderen Schriftsteller, die ich benutze, liegen in einer
ähnlichen Stilistik: Ernst Meister zum Beispiel, ein Nachfolger von
Hölderlin und Paul Celan, der vor ungefähr zehn Jahren verstarb.
Auch Harold Pinter, Philippe Soupault und Giuseppe Ungaretti, der bekannteste
moderne Lyriker Italiens. All diese Schriftsteller schreiben sehr karg,
sehr präzise, gleichzeitig sehr stark und depressiv, voller ungelöster
Fragen. Edward Gorey, dessen Hapless Child ich ebenfalls vertonte,
war textlich die große Ausnahme und in seiner Art sehr untypisch
für mich.
EZE: Würdest du "depressiv" als einen deiner prägenden
Charakterzüge bezeichnen?
MM: Ja, natürlich, von der Grundhaltung her in jedem Fall.
Nicht, das mein Leben davon bestimmt wäre. Aber im künstlerischen
Bereich trifft es sicherlich zu. Was sicherlich in meiner Musik zu hören
ist - wobei ich das Wort melancholisch in diesem Zusammenhang bevorzuge.
Ich setzte mich allerdings nicht hin und sage: jetzt möchte ich etwas
Trauriges schreiben. Das würde ich nicht tun. Vielmehr ist es so,
das es einfach passiert. Auch das neueste Werk, an dem ich gerade
arbeite, trägt melancholische Grundzüge. Die bereits komponierte
Suite mit Songs und Interludes wird sich sehr abstrakten Texten von Paul
Auster (Hide and Seek) widmen. Und nächste Woche werde
ich ins Studio gehen, um mit den Aufnahmen zu beginnen.
EZE: Worauf man wieder einmal sehr gespannt sein darf.
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