MICA Musikmagazin   July 2015

 


Jazzgeschichte, in die Gegenwart geholt -
MICHAEL MANTLER zum Projekt "Jazz Composer's Orchestra Update"


Im Sommer 2013 hatte im Wiener Jazzclub PORGY & BESS ein besonderes Projekt Premiere: 45 und mehr Jahre nach den Aufnahmen mit dem JAZZ COMPOSER'S ORCHESTRA (JCO) und Solisten wie CECIL TAYLOR, DON CHERRY, ROSWELL RUDD und PHAROAH SANDERS wurden MICHAEL MANTLERS die Geschichte des orchestralen Free Jazz prägende Kompositionen in überarbeitender Form live vorgestellt. Als Ausführende trat die Wiener Big Band NOUVELLE CUISINE unter der Leitung von Christoph Cech in Erscheinung, die Solo-Parts übernahmen u. a. die Saxofonisten Harry Sokal und Wolfgang Puschnig, Gitarrist Bjarne Roupé, das RADIO.STRING.QUARTET.VIENNA und MICHAEL MANTLER selbst an der Trompete. Ende 2014 erschienen die Aufnahmen aus dem PORGY & BESS bei ECM auf CD, beim MOERS FESTIVAL 2015 werden sie live zu erleben sein. Andreas Felber sprach mit MICHAEL MANTLER über das JAZZ COMPOSER'S ORCHESTRA und die New Yorker Avantgarde-Jazz-Szene der 1960er-Jahre.nderer Form, mit Texten.

Was war für Sie der Anstoß, noch einmal auf diese alten Partituren zurückzukommen, die Kompositionen noch einmal live aufzuführen?

Michael Mantler:
Ich war im Begriff, die alten Partituren zu digitalisieren, die noch anders notiert waren als heute. Nicht in normaler Notation, sondern mit grafischen Teilen. Die Noten und die ungefähre Dauer waren angegeben, aber ohne Taktstriche, ohne Tempovorgaben. Die Musik wurde damals von mir dirigiert und mehr oder weniger auswendig gespielt. Ich wollte, dass die Partitur nicht nur in den Kopien der handgeschriebenen Originale vorliegt. Wenn jemand die Musik je spielen wollte, wäre das ziemlich schwierig. Ich habe mich also damit befasst und dabei die Musik wieder kennengelernt, deren Aufnahmen ich schon jahrelang nicht mehr gehört hatte. Ich fand: Das war immer noch frisch! Und dachte, es wäre vielleicht eine gute Idee, das wieder einmal zu spielen. Christoph Huber im Porgy & Bess sagte sofort: "Das müssen wir machen!" Ich habe circa ein Jahr daran gearbeitet, die Musik auszuschreiben, umzuschreiben, viele Teile neu zu orchestrieren. Dabei habe ich auch andere Stücke ausgegraben, die nicht auf den Platten enthalten sind. "Communications #5" war auf der ersten Fontana-Platte "Communication" von 1965, daraus wurde ein neues Stück namens "Update Five", das aber auf der ursprünglichen Komposition basiert. "Communications #1" ist nun als "Update One" dabei. Dieses Stück wurde nie aufgeführt, war aber der Keim für das Ganze. Und dann gibt es Stücke, die auf anderen Platten existieren und die ich neu orchestriert habe. Die Erstfassungen von "Update Six" und "Update Twelve" zum Beispiel sind teilweise auf "No Answer" [veröffentlicht 1974; Anm.] zu finden, allerdings in gänzlich anderer Form, mit Texten.

Sie haben also die Musik von teilweise grafischer Notation in traditionelle Notenschrift übertragen, damit man sie auch ohne Ihr Dirigat aufführen kann?

Michael Mantler: Genau. Jedes Orchester mit kompetenten Musikern und einem kompetenten Dirigenten könnte das theoretisch spielen. Die Originale waren nicht grundlegend anders orchestriert, aber ich habe gewisse Dinge … vielleicht besser gemacht. Es geht mir nicht darum, etwas nur deshalb zu konservieren, weil es so war. Ich will immer das bestmögliche Resultat haben. Die Wahl der Solisten wollte ich grundlegend anders vornehmen, sodass etwa das Cecil-Taylor-Stück nicht mehr gleichsam ein Klavierkonzert ist, sondern etwas ganz anderes. Dass die Solisten nicht nur andere Persönlichkeiten sind, sondern auch andere Instrumente spielen. Die Originalstücke waren ja speziell für diese Solisten geschrieben. Bei ihnen wusste ich, wie sie spielen, was sie spielen, womit sie umgeben sein sollten. Jetzt war es umgekehrt: Ich kannte die Musik und dachte: "Wer kann da dazu passen? Wer kann da etwas dazu beitragen?"

Was bedeutet es für Sie, dass die Musik nun weniger im Moment entsteht, sondern einer penibel notierten Partitur folgt?

Michael Mantler: Das war der Witz an der ganzen Sache. Die ursprünglichen Kompositionen waren da, die Noten waren da. Es war erstens von der Aufführung her relativ … Ich möchte nicht sagen: schlecht. Der Enthusiasmus war enorm, damals! Aber gewisse Dinge hört man überhaupt nicht, die in der Partitur standen. Das hat auch zum Teil mit aufnahmetechnischen Problemen zu tun. Obwohl wir im RCA Studio waren, dem modernsten Studio, das es zu der Zeit in New York gab. Die hatten keine Ahnung, wie man so etwas überhaupt aufnimmt. Diese ganze Ballung von Instrumenten und Schlagzeug - das waren acht Bässe, Klavier und so weiter - war schwierig! Jetzt ist es erstens von der Notation her präziser. Zweitens sind die Musiker technisch besser. Man kann nun eine wirklich präzise Interpretation der Partitur erwarten. Ich finde das sehr gut. Das ist einer der Gründe, warum es den Aufwand wert war, das wieder zu machen.

Warum haben Sie die Kompositionsreihe "Communications" genannt?

Michael Mantler: Das war damals das Ziel - mit dem Publikum zu kommunizieren. Dass jemand mitkriegt, was vor sich geht oder gesagt wird.

Die erste Komposition "Communications #1" entstand 1963/64, also schon, bevor das Jazz Composer's Guild Orchestra - wie es anfangs hieß - gegründet wurde. Die Idee war also früher da.

Michael Mantler: Ja, ich glaube, ich habe damit sogar am Berklee College angefangen, als ich noch in Boston war. 1962 oder 1963. Ich glaube, ich habe das einmal mit ein paar Leuten gespielt. Wir haben es einmal geprobt, es wurde aber nie aufgeführt.

Sind Sie am Berklee College auch erstmals mit freier Musik in Berührung gekommen?

Michael Mantler: Nein, überhaupt nicht, das war vorher. Free Jazz war am Berklee College verpönt, dort wurde sie als damals als "Moon Music" bezeichnet. Free Jazz war mir schon vorher bekannt, die Platten von Ornette Coleman und Cecil Taylor hatte ich schon in Wien gehört.

Ihr Einstieg in die New Yorker Szene vollzog sich im Herbst 1964 im Zuge der heute mythenumrankten "October Revolution in Jazz". Was hat Sie dort hingebracht?

Michael Mantler: Das war kurz, bevor ich von Boston nach New York übersiedelt bin. Bill Dixon hat diese drei oder vier Tage organisiert, eine Art Mini-Festival, diese freie Musik eben. Da waren alle möglichen Leute dabei, von Jimmy Giuffre … [über Paul Bley und John Tchicai zu Alan Silva und Sun Ra; Anm]. Viele waren im Publikum, ich habe dort zum Beispiel Carla und Paul Bley erstmals getroffen, auch Archie Shepp. Dieses "Cellar Cafe" war tatsächlich ein kleines Kellerlokal auf der 91th Street, West Side. Ich spielte damals im Quartett dieses Pianisten aus Boston, Lowell Davidson. Weiters waren Kent Carter, der Bassist, und der Schlagzeuger Billy Elgart dabei. Wir wurden eingeladen, dort zu spielen. Danach haben wir Kontakt aufgenommen mit Bill Dixon. Es gab verschiedene Meetings, und dann lief das plötzlich.

Und Sie waren Teil der Jazz Composer's Guild

Michael Mantler: Ja, wir haben das alle zusammen angefangen. Das waren Bill Dixon, Cecil Taylor, Sun Ra, John Tchicai, Roswell Rudd, Carla und Paul Bley, ich eben, und der Pianist Burton Greene. Ich glaube, das war's so ziemlich.

Was war das Grundanliegen?

Michael Mantler: Eben zu ermöglichen, dass man diese Musik - Free Jazz - spielen kann. Also, Konzerte zu veranstalten. Es war auch die Rede von Aufnahmen, was sich nie hat realisieren lassen, es ist alles zu schnell zerfallen … Aber wir haben schon mehrere Konzerte veranstaltet. Das erste war eine Serie, vier Tage in der Judson Hall, im Konzertsaal gegenüber der Carnegie Hall in der 57th Street, Ende Dezember 1964. Dort haben all diese Bands gespielt, jeweils zwei pro Abend. Ich war damals Mitglied in Cecil Taylors Band. Archie Shepp war auch ein Teil der Jazz Composer's Guild. Carla und ich waren die Einzigen, die keine Bandleader waren, die keine Gruppe hatten. Also haben wir eben dieses Orchester zusammengestellt, aus den Musikern der anderen Gruppen. So entstand dieses Jazz Composer's Guild Orchestra, das war das erste Konzert [am 29. Dezember 1964; Anm.]. Davon findet sich auch einiges auf der ersten Platte, "Communications #3" und "Roast".

Als Sie und Carla Bley das Orchester gegründet haben, gab es da schon andere Orchester, die sich mit freier Musik beschäftigt haben?

Michael Mantler: Das glaube ich nicht, nein.

"Ascension" von John Coltrane kam ja später, 1965.

Michael Mantler: Das war Free Jazz, nur mit vielen Leuten. Das hatte mit Komposition nichts zu tun. Oder äußerst wenig.

Worauf lag ihr Augenmerk?

Michael Mantler: Auf Komposition. Das war die ganze Idee des Orchesters. Um Free Jazz - sagen wir - zu kontrollieren oder zu unterstützen, mit einer organischen, sinnvollen Umrahmung. Das war das ganze Konzept und ist es für mich bis heute. Das gab es vorher nicht. Denn Free Jazz als solcher wurde relativ schnell langweilig für mich. Endloses Dahinspielen mehr oder weniger ohne Ziel und Grund, das war einfach nicht genug. Daher kommt das. Trotzdem: Die Kraft dieser Musik wurde am besten durch einen großen Klangapparat ausgedrückt, das fand ich richtig gut.

Die Jazz Composer's Guild hat es bald nicht mehr gegeben. War es klar, dass das Orchester weiterbestehen wird?

Michael Mantler: Nein, überhaupt nicht. Die Guild zerfiel ziemlich schnell, es waren einfach zu viele Leute, zu viele Persönlichkeiten, zu viele Streitereien, zu viele Probleme. Das konnte sich nicht halten. Es war wichtig, dass es das gab, es hat viele Dinge auf den Weg gebracht. Eben auch unser Orchester, und ich wollte das weitermachen, weil es das war, was mich interessierte. Ich habe mich dann ein Jahr nur darauf konzentriert, eine organisatorische Grundlage zu schaffen, um das Orchester weiterzuführen. Heraus kam eben diese Jazz Composer's Orchestra Association Inc. Das ist eine Non-Profit-Organisation, das heißt, sie zahlt keine Steuern. Und sie kann Subventionen und Spenden erhalten. Es gab alle möglichen Versuche, Geld aufzustellen, und das kam tröpfchenweise rein. Es war nicht nur als Carlas und mein Projekt gedacht, sondern als Orchester für Leute, die diese Musik interessiert. Aber ich wollte das erste Projekt machen, um eben den Weg zu weisen. Das zweite war Carlas Escalator Over The Hill, was wieder ganz etwas anderes war, aber auch in dem Rahmen vor sich ging. Und dann, nachdem die ersten paar Platten existierten, mussten wir natürlich etwas finden, um sie zu vertreiben. Daraus entstand der New Music Distribution Service, der dazu in erster Linie dazu diente, JCOA Records zu vertreiben. Das war die Zeit, wo all diese Free-Independent-Labels ins Leben gerufen wurden, in Amerika und auch in Europa. Wir haben Leute aus Europa vertrieben, Enja, FMP, Ictus, Futura in Frankreich, ICP in Holland, und eben auch ECM, als Erste in Amerika. Was dann ein Problem wurde, denn die hatten eine so erfolgreiche Platte von Chick Corea, das uns das einfach zu viel wurde.

Wenn Sie die beiden ersten Alben des JCO von 1964/65 und 1968 nebeneinander legen, wie würden Sie die Entwicklung betreffend die Kompositionen beschreiben, die Sie da vollzogen haben? Beim ersten Album waren die Solisten noch mehr Teil des Orchesters, beim zweiten wurden sie bewusst herausgestellt …

Michael Mantler: Ja, das erste war sehr frei. Teilweise wirklich total free. Und da war vieles nur grafisch notiert. Keine Noten, nur ein paar Schnörksel hie und da. Einsätze und Akkorde, Angaben wie "langsamer" und "schneller", Punkte. Das war wirklich recht frei. Wenig notiert, außer vielleicht ein paar Melodien als Ausgangspunkt. Oder eine Melodie, auf die man hinspielen sollte. Also kaum ein Vergleich mit dem nächsten Mal.

Kommen wir zum berühmten JCO-Doppelalbum von 1968: Was hat in Ihnen den Wunsch ausgelöst, einige Ihrer Kollegen als Solisten dem Orchester gegenüberzustellen?

Michael Mantler: Das waren für mich die wichtigsten und besten auf ihren Instrumenten zu dieser Zeit, und die originellsten. Das war relativ klar.

Alle Kompositionen tragen den Namen "Communication", nur das berühmte "Preview" fällt diesbezüglich aus der Reihe. Was hat es mit dem Stück auf sich?

Michael Mantler: Ich weiß nicht, das war mehr als "preview of things to come in the world" gedacht.

Im Booklet der CD-Ausgabe, in dem auch ein Partiturausschnitt abgedruckt ist, findet sich zu "Preview" der Zusatz: "April 1968. The march. The flight. From a work in progress."

Michael Mantler: Der Rhythmus ist ziemlich marschmäßig. "Flight": Das war eben Pharoah Sanders, der über alles drüber flog. "Preview" kam übrigens später [1974; Anm.] auch als Teil von "Number Twelve" auf dem "No Answer"-Album raus.

Man könnte sich im Jahr 1968 auch einen außermusikalischen Bezug zum Marschrhythmus vorstellen. Eine Protestmarsch oder Protest gegen den Marsch …

Michael Mantler: Oh nein. Keine politischen Klänge. Das gibt es bei mir nicht.

Weil?

Michael Mantler: Ich finde das nicht interessant im Bereich der Musik. Wenn jemand so ein Publikum ansprechen will, okay, aber ich mache das nicht. Was nichts damit zu tun hat, dass ich bei Charlie Hadens Liberation Music Orchestra mitgespielt habe. Für mich war das aus rein musikalischen Gründen interessant. Nicht aus Protestgründen. Obwohl wir natürlich bei allen Protesten dabei waren, wir waren in Washington und weiß Gott, wo …

Bei welcher Aktion?

Michael Mantler: Der große Marsch auf Washington, 1968 oder so. Vietnam. Da sind wir alle mit dem VW-Bus nach Washington gefahren. Ich kann mich an Genaueres nicht mehr erinnern, aber wir waren dort. [Anm.: Es gab mehrere Märsche auf Washington, in denen ein Ende des Vietnamkriegs gefordert wurde. Der größte fand am 16. November 1969 statt, rund 600.000 Menschen nahmen daran teil.]

Ich finde die Instrumentierung Ihrer JCO-Kompositionen interessant. Vor allem, dass 1968 meistens vier bis fünf Bassisten dabei waren. Woher kam die Idee für diese Besetzung?

Michael Mantler: Nachdem es so ein großer Klang war mit den Bläsern - je sieben Saxofone und Blechbläser -, sollte das auch schön unterstützt werden von vielen Bassisten. Bei der Liveaufführung im Electric Circus [in New York, 1969; Anm.] hatten wir acht Bassisten. Das Orchester saß im Kreis, und die Bassisten waren ringsherum platziert. Das ist auch etwas, was technisch sehr schlecht hörbar ist auf der Platte. Die konnten die akustischen Bässe nicht richtig aufnehmen, zu der Zeit hatte niemand Pick-ups. Da war natürlich unheimlich viel los in dem Studio.

Sie haben mir in einem früheren Interview erzählt, dass Sie in ihren Werken Improvisation zunehmend ausgespart haben, weil sie in der gegenwärtigen Musiklandschaft wirklich große Solisten immer seltener hören. Wie verhält sich das im Hinblick auf die neuen Aufführungen der Kompositionen?

Michael Mantler: Ja, das stimmt im Grunde immer noch. Es gibt natürlich schon gute Leute, und die sind hier dabei. Ich bin nicht so vertraut mit der Szene, ich höre relativ wenig. Was zu mir durchdringt, lässt mich empfinden, dass sich in den letzten Jahren nichts wirklich Großartiges getan hat. Es gibt jede Menge unheimlich gute Spieler! Aber die Originalität fehlt. Bahnbrechende Musiker wie die Leute, die damals dabei waren, Don Cherry, Cecil Taylor, Pharoah Sanders - die gibt es heute nicht. Ich weiß nicht, ob das je wiederkommen wird. Vielleicht ist der Jazz wirklich eine klassische Musik geworden. Die Leute spielen viel besser, es gibt jede Menge Musiker, die alles spielen können! Von Louis Armstrong zu Don Cherry, von Lester Young zu Pharoah Sanders oder John Coltrane - jeder kann spielen wie Coltrane! Besser als Coltrane! Es ist wie klassische Musik …

Die Solisten für das nunmehrige "Update"-Projekt hat Christoph Cech ausgesucht?

Michael Mantler: Nein, die habe ich ausgesucht. Das war meine Wahl. Ich habe schon mit allen vorher gearbeitet. Die haben genau gemacht, was ich von ihnen erhofft und erwartet habe. Und sie alle waren enthusiastisch und mochten die Musik sehr, das war natürlich wichtig.

Ich war bei der Liveaufführung im Wiener Porgy & Bess davon beeindruckt, wie kraftvoll die Musik ist, wie viel Spannung da drinsteckt. Sie erzeugt permanent Sogwirkung und lässt einen bis zum Schluss nicht mehr los …

Michael Mantler: Ja, es stimmt, es ist unheimlich kraftvolle Musik. Es kommt einfach so raus, das passiert nicht bewusst. Darum ist die Musik auch schwer zu hören … ich meine: Die Musik ist nicht so schwierig wie zeitgenössische Musik, sie ist tonal, aber emotionell schwierig. Ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass Leute, die die Musik überhaupt nicht kennen, von meiner Musik generell recht beeindruckt sind. Egal ob das ein Duo oder das JCO ist, im Prinzip ist der Ausdruck der Musik ähnlich. Da ist etwas, was ankommt. Dann ist die Musik für mich erfolgreich. Daher "Communications" - das erklärt den Titel.

Sie haben mir in einem früheren Interview erzählt, dass Sie sich damals, in den 1960er-Jahren, auch mit zeitgenössischer Musik auseinandergesetzt haben. Sie haben die Namen Edgar Varèse und Olivier Messiaen genannt. Das Klangbild der JCO-Musik steht ja auch der zeitgenössischen europäischen Musik näher als der Big-Band-Tradition …

Michael Mantler: Das kann schon sein. Das ist ja auch unheimlich schöne Musik. Es ist auch nichts Neues. Alles, was Sie hier hören, wurde schon einmal geschrieben, in einem Stück von Varèse, Messiaen, Bartók, Strawinsky. Wenn man "Le Sacre du Printemps" hört, fragt man sich: "Warum schreibe ich Musik? Sie ist schon hier!" Varèse war auch äußert wichtig für mich. Vor allem die Orchesterstücke, "Octandre", "Arcana" und so weiter. Aber ich habe nie bewusst etwas analysiert. Ich habe die Partitur einmal gesehen, aber nicht richtig studiert. Ich habe immer Abstand zu solchen Dingen gehalten und mir gedacht: "Ich will eigentlich nicht, dass ich zu viel weiß." Ich erfinde also wahrscheinlich das Rad immer wieder neu … (lacht)

Im Rahmen der "Concertos", die 2008 auf CD erschienen sind, haben Sie den Gedanken wieder aufgegriffen, Solisten einem Ensemble gegenüberzustellen. Was steckt vom Komponisten der JCO-Stücke noch im Komponisten der "Concertos" von 2008? Welche Verbindungslinien sehen Sie?

Michael Mantler: Absolut dieselben. Es besteht kein Unterschied. Das ist ein anderes Ensemble, eine andere Instrumentierung, es sind andere Musiker. Musiker, die perfekt spielen, was man ihnen vorlegt. Die Solisten der "Concertos" sind zum Teil improvisierende Jazzer, auch einige klassische Musiker sind dabei, die ausnotierte Soli spielen. Das betrifft die Stücke für Marimba und Vibrafon [Solist: Pedro Carneiro; Anm.] bzw. Piano [Majella Stockhausen; Anm.]. Es sind auch einige Hinweise auf originale JCO-Stücke enthalten. Im Stück für Roswell Rudd finden sich viele Zitate aus "Communications #10". Das Trompetenstück basiert auf #11, Cecil Taylors Stück. Einige andere auch. Sie müssen die Partituren studieren …

Ich danke Ihnen für das Gespräch.

 
     
 

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